„Was heute unmöglich scheint, kann morgen Realität sein“: Chancen der Gen- und Zelltherapien für betroffene Familien.
Ein Plädoyer von Michael Scholz, ela.eV
Michael Scholz ist ehrenamtlich im Vorstand von „ELA Deutschland e.V.“ und hat als themenbezogener Patientenvertreter beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) den Nutzenbewertungsprozess von Libmeldy® begleitet. Er engagiert sich für die Einführung eines Neugeborenen Screenings. www.elaev.de
Liebe Leserinnen und Leser,
Als Vater einer 13-jährigen Tochter, die an der seltenen und lebensverkürzenden Krankheit Metachromatische Leukodystrophie (MLD) leidet, habe ich die Herausforderungen, aber auch die Hoffnung, die diese neuen Therapien bieten können, hautnah miterlebt.
MLD ist eine genetische Erkrankung, bei der ein Enzymmangel zu einer fortschreitenden Zerstörung der Myelinschicht im Gehirn führt. Meine Tochter lebte bis zum Alter von fünf Jahren ein gesundes und unbeschwertes Leben. Doch dann zeigten sich erste, zunächst unspezifische Symptome, die schließlich zu der erschütternden, lebensverkürzenden Diagnose führten. Seitdem kämpft unsere Familie nicht nur gegen die Krankheit, sondern auch dafür, dass neue Therapiemöglichkeiten erforscht und zugänglich gemacht werden.
Moderne Therapien, wie Stammzell- und Gentherapien, bieten heute die Chance, Krankheitsverläufe zu verlangsamen oder sogar zu stoppen – insbesondere, wenn sie frühzeitig eingesetzt werden. Leider war dies bei meiner Tochter nicht mehr möglich, da die Symptome bereits zu weit fortgeschritten waren. Trotz allem hat die damals mögliche Stammzellentherapie ihrer Lebensqualität einen bedeutenden Schutz geboten. Auch wenn sie körperlich schwer beeinträchtigt ist, lacht sie noch viel und genießt das Leben.
Es gibt bereits beeindruckende Fortschritte Dank der jetzt verfügbaren Gentherapie für die MLD (Libmeldy®). Mit einem der aktuell teuersten Medikamente der Welt, können heute Kinder, die vor dem Auftreten der ersten Symptome behandelt werden, ein nahezu normales Leben führen. Das gibt betroffenen Familien Hoffnung, doch der Zugang zu diesen lebensrettenden Behandlungen ist oft langwierig.
Familien anderer Leukodystrophieformen müssen wiederholt ins außereuropäische Ausland reisen, um an Studien teilzunehmen, da es in Deutschland zu wenig Forschungsprogramme gibt. Außerdem scheitern viele Studienmöglichkeiten an bürokratischen Hürden und fehlender Unterstützung, sowohl politisch als auch finanziell.
Ich möchte betonen, wie wichtig es ist, dass wir als Gesellschaft die Rahmenbedingungen für die Forschung und Entwicklung neuer Therapien verbessern müssen. Dies erfordert nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch schnellere Entscheidungsprozesse, mehr Flexibilität in der Umsetzung klinischer Studien und vor allem eine stärkere Unterstützung für betroffene Familien. Wir sollten verhindern, dass innovative Therapien aus dem deutschen und europäischen Markt verschwinden, nur weil es keine Einigung zur Kostenerstattung gibt.
Ich rufe dazu auf, mehr gesellschaftliche, finanzielle und politische Unterstützung für GCT zu schaffen, um Innovationen zu fördern und die Zukunft der Medizin hier in Deutschland zu sichern. Denn für viele Patienten mit seltenen und schweren Erkrankungen ist Zeit das kostbarste Gut – und es darf nicht länger verloren gehen.
Mit Blick auf die zukünftig zu erwartenden Gentherapien für Kinder mit unterschiedlichsten Stoffwechselerkrankungen wird die frühzeitige Diagnose immer notwendiger und daher ist es wichtig, das erweiterte Neugeborenenscreening (eNGS) perspektivisch zu ergänzen.
Es liegt an uns, diese Chancen zu nutzen und Hoffnung für zukünftige Generationen zu schaffen. Dafür ist ein breiter Diskurs zu den Chancen und Risiken in Politik und Gesellschaft gerade jetzt wichtig.
Denn was heute unmöglich scheint, kann morgen Realität sein.